Gedanken über Hingabe, Selbstermächtigung und Wahlfreiheit
– oder: Warum Bottoming alles andere als passiv ist


Was bedeutet Hingabe im Kontext von BDSM oder Kink? 
Für viele entstehen dabei Bilder von Loslassen, sich in Empfindung auflösen, Kontrolle abgeben. Und ja – Hingabe kann all das sein.

Aber sie ist nicht möglich ohne ein zentrales Element: Selbstermächtigung.
 Sie ist das Fundament, auf dem echte Hingabe ruht.

Was bedeutet Selbstermächtigung?
Selbstermächtigung bedeutet: Ich habe eine Wahl.
 Ich weiß (oder finde heraus), was ich will. Was mich neugierig macht. Wo meine Grenzen liegen – und ich kann das kommunizieren.
 Ich kann ein klares Ja geben – und ein klares Nein. Und ich weiß: Beides wird gehört und respektiert.
Ohne diesen inneren Halt, ohne Sicherheit in der Kommunikation und ohne echtes Einverständnis ist das, was wie Hingabe aussieht, oft etwas anderes:
 Rückzug, Überforderung oder unbewusste Anpassung.
Doch wenn Hingabe auf sicherem Boden wächst, wird sie zu etwas ganz anderem:
 Eine kraftvolle, verkörperte Entscheidung, loszulassen – nicht, weil ich muss, sondern weil ich will.
 Weil ich dem Rahmen vertraue, in dem ich mich bewege.
 Weil meine Stimme willkommen ist – nicht übergangen wird.

Hingabe ist keine Machtlosigkeit
Hingabe wird oft mit Ohnmacht verwechselt. Doch im Kink ist die submissive oder empfangende Rolle niemals „weniger“.
 Im Gegenteil: Es braucht Kraft, Selbstvertrauen und Bewusstheit, um sich wirklich hinzugeben.
Du entscheidest, dich zu öffnen.

Du entscheidest, zu empfangen.

Du entscheidest, loszulassen.
Und genau diese Wahl macht den Unterschied.

Ein Mensch, der sich selbstermächtigt hingibt, kann:

  • Wünsche formulieren – ohne Scham
  • Grenzen benennen – klar und selbstbewusst
  • Nein sagen – und gehört werden
  • Die Szene unterbrechen – wenn etwas nicht stimmig ist
  • Nachsorge einfordern – so, wie sie gebraucht wird

Und gerade durch diese Klarheit vertieft sich die Hingabe.
 Sie wird vertrauensvoller. Wahrhaftiger. Lebendiger.

Selbstermächtigung in der Praxis – wie das aussieht
Ganz gleich, ob als Top oder Bottom: Selbstermächtigung ist kein theoretisches Konzept.
 Sie zeigt sich in deinen Entscheidungen – und in den Fragen, die du dir stellst.
In der Praxis bedeutet das zum Beispiel:

  • Dir Zeit zu nehmen, um zu spüren: Was wünsche ich mir wirklich von dieser Begegnung?
  • Grenzen zu benennen – und dankbar zu sein für die Neins deines Gegenübers
  • Rollen und Verantwortlichkeiten vor dem Spiel gemeinsam zu klären
  • Mit deinem Körper und deiner Intuition in Kontakt zu bleiben
  • Zuzuhören, wie es deinem Gegenüber geht
  • Rückmeldungen einzuladen – und als Mehrwissen zu begreifen

Selbstermächtigung bedeutet: Wir gestalten gemeinsam.
 Auch wenn eine Person formal „die Kontrolle“ hat, bleiben wir in Verbindung.
 Es geht nicht um Perfektion. Nicht um ein durchinszeniertes Bild.
Sondern um Präsenz. Um Konsens, den wir wie einen offenen Dialog gestalten, der während des gesamten Spiels lebendig bleibt.

Warum das so wichtig ist
Eine gute Szene bedeutet für uns nicht, stereotype Bilder von Dominanz und Unterwerfung nachzuspielen.
 Es geht darum, eigene Rituale zu erschaffen – für Verbindung, für Intensität, für Hingabe.
Und Rituale werden nur dann wirklich bedeutungsvoll, wenn alle Beteiligten sie aktiv mitgestalten –
Moment für Moment. Impuls für Impuls. Entscheidung für Entscheidung.
Wenn wir Selbstermächtigung feiern, schaffen wir Räume für:

  • sichereres Spiel
  • tiefere Intimität
  • ehrlichere emotionale Prozesse
  • authentischere Verbindung – in der Szene und darüber hinaus

In aller Klarheit
Hingabe ist kein Zustand, den jemand anderes in mir erzeugt.
Sie beginnt in mir – mit dem Bewusstsein, dass ich wählen darf.
Dass mein Nein gilt.
Dass ich gesehen werde, wie ich bin – nicht nur in meiner Lust, sondern auch in meiner Zartheit, meinem Zögern, meiner Verletzlichkeit.
Hingabe ist keine Flucht aus Verantwortung.
 Sie ist ein mutiger, innerer Schritt, mich zu öffnen, Intensität reinzulassen, mich dem, was geschieht, bewusst auszusetzen.

Zum Abschluss
Hingabe ist nichts, was eingefordert werden kann.
Sie ist ein Geschenk – und sie wird frei gegeben.
Aber nur dann, wenn der Boden stimmt.
Und dieser Boden ist Selbstermächtigung.
Egal ob du toppst, bottomst, switchst oder experimentierst – es sind immer wieder dieselben Fragen:
Was will ich wirklich?
Was brauche ich, um mich sicher zu fühlen?
Wo liegen meine Grenzen – und meine Sehnsüchte?
Wie kann ich mich ganz einbringen – mit allem, was mich ausmacht?

Erst dann kann Hingabe wirklich beginnen.

Kategorien: Steffis-Blog

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